Woran man merkt, dass man schon zu lange in der Schweiz wohnt
Liest man die Antworten zur Frage «Woher weisst du, dass du ‹zu lange› in der Schweiz lebst?», könnte einem als Schweizerin oder Schweizer schon mal mulmig werden. Kommen wir echt so spiessig rüber bei Leuten, die das Land neu kennenlernen?
Offenbar ist die Schweiz ein sehr gewöhnungsbedürftiges Land für Ausländer. Dies gilt insbesondere für Menschen, die von einem Ort stammen, der völlig andere Bräuche, Kulturen, Mentalitäten und Einstellungen hat. Und das sei fast überall sonst auf der Welt der Fall, schreibt Helena Bachmann, Autorin des Artikels mit obiger Schweizer-Frage, auf dem Online-Portal «The Local».
Plötzlich stelle man mit grosser Bestürzung fest, dass, «wenn du lange genug hier lebst, Dinge, die bei Ihrer Ankunft unverständlich erschienen, jetzt völlig ‹normal› sind», schreibt Bachmann – wobei zu definieren sei, was «lange genug» genau heisst.
Von Hausregeln und Terrassenstaubsaugern
ZüriToday hat ein paar aussagekräftige Kommentare auf verschiedenen Foren zusammengetragen, die sicher beantworten, wann man diese unsichtbare Grenze überschritten hat und zu sehr in alles Schweizerische eingetaucht ist.
«Du weisst, dass du zu lange in der Schweiz warst, wenn du zusammenzuckst, wenn deine Eltern zu Besuch kommen und nicht merken, wie viel Lärm sie nach 22 Uhr machen.» Denn Mieterinnen und Mieter in der Schweiz sind zwischen 22 und 6 Uhr zum Schweigen verpflichtet, um ihre Nachbarn nicht zu stören. Diese Debatte erhitzt die Gemüter besonders: «Wenn du dich kaum traust, die Toilettenspülung nach 22 Uhr noch zu benutzen», schreibt eine Reddit-Userin.
«Wenn Sie einen Staubsauger für die Reinigung der Terrasse haben.» Ja, für viele Schweizer ist Putzen eine Kunstform und Sauberkeit ein Muss, keine Option. Ein normaler Staubsauger würde für Terrasse und Balkon natürlich völlig ausreichen – doch wer kennt sie nicht, die Spezialreiniger und Putzgeräte für den Aussenbereich, die zahlreiche Haushalte so «schweizerisch» machen.
«Du machst Aromat auf alles»...
«Wenn Sie sich ärgern, dass der Zug ein paar Minuten Verspätung hat», denn Pünktlichkeit sei in der Schweizer Psyche tief verankert, erklärt Helena Bachmann. Dies könne natürlich damit zusammenhängen, dass wir so bekannt sind für das Uhrmacher-Handwerk. Für die zeitbewussten Pendler ist es äusserst irritierend, wenn die SBB mal Verspätung hat.
«Aromat auf alles, ohne vorher probiert zu haben.» Der rote Zwerg – im Volksmund liebevoll Knorrli genannt – wird von Schweizern so sehr geliebt, dass er sie häufig in den Ferien im Ausland begleitet, sagt Sandra Sparrowhawk in einem Erklär-Artikel über Aromat auf «The Local». Definitiv sei Aromat in jedem Haushalt zu finden, und manche bringen es gar als Souvenir aus der Schweiz mit ins Ausland oder haben es beim Restaurantbesuch dabei, so Sparrowhawk.
Perfekte Papierstapel und Hecken
«Du bezahlst 20 Franken für einen Burger und denkst: ‹W as für ein Schnäppchen! › » Ausländer (oder Touristen), die zum ersten Mal in die Schweiz kommen, seien von den Preisen oft schockiert. Mit der Zeit gewöhne man sich jedoch an die Lebenshaltungskosten – denn die Löhne seien ja auch höher, erklärt Bachmann.
«Ihre Papierstapel sind perfekt». Die Schweizer sind extrem gut organisiert und mögen es, wenn alles ordentlich ist. Es sei undenkbar, dass Dokumente oder andere Papiere wahllos verstreut sind, statt säuberlich gestapelt zu werden, so Helena Bachmann. Oder wenn man «die Hecken mit einem Lineal schneidet, um sicherzustellen, dass sie perfekt gerade sind.» Ein weiterer Beweis für Sauberkeit, Ordnung und Organisationstalent, für das die Schweizer bekannt sind.
Wobei sich beim Thema Ordnung die User nicht ganz einig sind. Ein Zürcher sagt dazu, dass er im Moment in Tokio sei und meint, dass Zürich hart arbeiten müsse, um mitzuhalten: «Diese Sache mit ‹Wir hier sind die saubersten, besten, klügsten und so weiter› ist ein riesen Blödsinn!»
Erkennbare Fahrstile und randvolle Müllsäcke
«Du planst automatisch deine Aufgaben in dem Wissen, dass alles um 18.00 Uhr schliesst und sonntags tabu ist.» Mit den sehr limitierten Öffnungszeiten scheinen viele User und Userinnen ihre liebe Mühe zu haben.
«Wenn du anhand der kantonalen Nummernschilder das Verhalten anderer Autofahrer genau vorhersagen kannst», schreibt ein User auf Reddit. Und er bekommt sogleich den Hinweis eines Zürchers: «Finger weg von AI (Appenzell Innerrhoden): Das sind die Touristen in einem Mietwagen!»
«Füllt den besteuerten Müllsack bis zum Rand, bevor er ihn zum Bordstein bringt – aber nur an einem bestimmten Tag und an einem bestimmten Ort.» Auch die Einhaltung der Regeln gehört zu den typischen Schweizer Eigenschaften, ist man sich in den Kommentaren einig.
Ab wann bist du ein Bünzli?
Die Antwort liefert ein Reddit-User sehr direkt: «Wenn du Anweisungsnotizen in den Gemeinschaftsbereichen deines Wohnblocks für anormales Verhalten aufklebst. Es dauerte nur zwei Jahre, um ein Bünzli-Polizist zu werden.»
Und dass die Schweizer offenbar keine spontanen Aktionen lieben, zeigt folgendes Beispiel: «Wenn du sagst: ‹ Komm jederzeit auf einen Kaffee vorbei › , du aber eigentlich meinst: ‹ Mindestens zwei Wochen vorher schriftlich Bescheid sagen. › » Spontanität sei mit Sicherheit keine Schweizer Eigenschaft, sagt Helena Bachmann. Uneingeladen vor der Haustür aufzutauchen, sei definitiv ein No-Go, da die Schweizer Gastgeber keine Zeit hätten, das Haus gründlich zu reinigen und, ja, zu planen!